Innenpolitik:

Datenschutz statt Überwachung!

 

Der Rechtsstaat ist in Gefahr

 

Die Weiterentwicklung in der Verfassungs- und Innenpolitik geschieht zum einen, um sie den Notwendigkeiten anzupassen, zum anderen über die Wissenschaft, die Rechtsprechung sowie durch Think Tanks und Interessensverbände, die versuchen, über Politikberatung und über Werbung/PR um Akzeptanz für ihre Pläne zu werben.

In diesem Prozess können sich auch die Normen, Werte und Ziele unseres Landes langfristig verändern.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verbreitet seit seiner Ernennung als Minister immer wieder neue ungeeignete Vorschläge, um Terroristen zu bekämpfen und schürt damit gezielt die Ängste breiter Bevölkerungsschichten. So forderte Schäuble kurz vor Weihnachten letzten Jahres die Akzeptanz der Folter oder in einem Spiegel-Interview ein "Nachdenken" über die Ermordung von Terrorverdächtigen. Noch vor einigen Jahren wären solche Äußerungen eines Bundesinnenministers Anlass für seinen sofortigen Rücktritt gewesen.

Populisten versprechen so Sicherheit, die sie in Wirklichkeit niemals bieten können. Die Bedrohungsszenarien im Zusammenhang mit möglichen Terroranschlägen schaden den Grundlagen unserer offenen und demokratischen Gesellschaft. Ein Überwachungsstaat beginnt genau dort, wo gesellschaftliche Bereiche nach der Logik der Polizei und der Geheimdienste umstrukturiert werden.

Schäubles Vorschläge gehen sehr weit. So fordert er die Aufhebung der strikten Trennung zwischen Völkerrecht im Frieden und Völkerrecht im Krieg. Hinter diesem Streit steht die Idee der Einführung eines "Feindstrafrechtes". Um vorbeugend gegen Terror-Sympathisanten und so genannte "Gefährder" vorgehen zu können, soll nach dem Willen von Schäuble der Straftatbestand der "Verschwörung" eingeführt werden.
"Gefährder" sind Verdächtige, denen keine konkret geplante Straftat nachgewiesen werden kann. Sie sollten nach seinen Vorstellungen interniert werden.

Bundesverfassungsrichter Di Fabio forderte in einer Rede dazu unmissverständlich die Einhaltung der Kompetenzordnung für die öffentliche Gewalt. Auch der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm warnte: "Der Respekt vor diesen Grundrechten ist geschwunden. Wir sind auf dem besten Weg in einen Überwachungs- und Präventionsstaat".

Mit der Einführung neuer Überwachungstechnologien wird auch die Grundlage für Überwachungsstrukturen gelegt, wo allein die Architektur der technischen Systeme und deren Datenzugriff über die Überwachungsdichte der Bevölkerung bestimmt. Der Gesetzgeber hat aber eine angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen. Die Gewaltenteilung, die Kontrolle und die Dezentralisierung staatlicher Macht müssen erhalten bleiben.
Dies ist nur bei einer unhintergehbaren Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten gewährleistet.

 

Welche Maßnahmen werden gegenwärtig bereits angewendet?


Antiterrordatei
Dahintersteht das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin, in dem seit 2004 die Datenbanken von insgesamt 38 Sicherheitsbehörden zu einem System zusammengefasst werden. Hier ist das Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei faktisch aufgehoben.

Speicherung und Weitergabe der Personalien aller Flugpassagiere
Die beim Check-In erhobenen Personalien aller Flugpassagiere werden an die Bundespolizei übermittelt. Diese Daten werden auch an die USA weitergegeben.

Speicherung aller Nutzer von Internetseiten von Bundesbehörden
Wer die Internetseiten von Bundesbehörden besucht, wird gespeichert. Obwohl das gegen ein rechtskräftiges Urteil verstößt. Wer diese Seiten öfter nutzt, wird genauer untersucht.

Vorratsdatenspeicherung
Die Verbindungsdaten und Ortsdaten von Telefon-, SMS- und Internetverbindungen werden sechs Monate lang gespeichert. Geheimdienste haben ebenfalls Zugriff auf die Daten. Diese riesigen Datenmengen, die nun auf Vorrat angesammelt werden, schätzt der Bundesverband der IT-Wirtschaft (BITKOM) auf bis zu 40.000 Terabyte pro Jahr. Das entspräche rund 4 Mio. km gefüllter Aktenordner. Bisherigen Beobachtungen zufolge verdoppelt sich der Internetverkehr in Deutschland alle 14 Monate. Es ist außerordentlich zweifelhaft, ob eine zeitnahe Auswertung der Daten überhaupt möglich ist. Diese wachsenden Berge von Datenmüll werden Investitionen und Betriebskosten in dreistelliger Millionenhöhe verursachen. Bezahlen müssen dies letztlich die Kunden.

Speicherung von Fingerabdrücken in Ausweisen und Pässen
In Ausweisen und Pässen werden neben einem digitalen Foto auch die Fingerabdrücke der beiden Zeigefinger gespeichert. Damit werden die Fingerabdrücke der gesamten Bevölkerung erfasst. Über RFID-Funkchips in den Ausweisen können die Informationen kontaktlos ausgelesen werden. Es wird an einer EU-weiten Fingerabdruckdatenbank gearbeitet. So können mit diesen Daten künftig Rasterfahndungen durchgeführt werden.

Einheitliche Steuer-Identifikationsnummer
Damit entsteht eine zentrale Datensammlung, die persönliche Informationen wie Familienstand, Religionszugehörigkeit, die Daten der Finanzämter, der Arbeitgeber, BaföG-Ämter und der anderen Sozialämter enthält. Über das ursprünglich zur Terrorismusbekämpfung eingeführte Kontenabrufverfahren ist inzwischen für Finanzämter und eine Vielzahl weiterer Behörden der Weg zu unseren Privatkonten offen.

Telefonüberwachung
Die Telefonüberwachung hat sich in den letzten 8 Jahren versechsfacht. Nur 0,4 % der von der Staatsanwaltschaft beantragten Telefonüberwachungen wurden durch den Ermittlungsrichter abgelehnt. Bereits die hohe Anzahl der Überwachungen verhindert eine genaue richterliche Überprüfung und Begleitung. Es mangelt nachgewiesenermaßen an Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Kontrolle. Hinzu kommt, dass Polizei und Geheimdienste ferngesteuerte Handys als Mikrofone verwenden.

 

Die Folge: Vermeidungsverhalten

Die Überwachung führt zu einer Gefährdung der Demokratie, weil man als Bürger bestimmte, vom Staat als kritisch angesehene Verhaltensweisen vermeidet. Es entsteht ein Konformitätsdruck unabhängig von der Frage, ob die Behörden tatsächlich auf die Daten zugreifen oder nicht.

Jeder muss befürchten, dass Verdachtsmomente überall gesammelt werden. Ist man einmal im Verdachtsraster hängen geblieben, sind Beschattung und Ausforschung der Nachbarn, Beförderungsverweigerungen im Flugzeug, der Verlust des Arbeitsplatzes wegen Sicherheitsbedenken möglich.

Damit werden die Bereiche des Lebens, die vom Staat nicht mehr elektronisch überwacht werden immer kleiner und die Eingriffe in die Kernbereiche privater Lebensgestaltung gehen immer tiefer. Auch Journalisten können nicht mehr frei recherchieren.

Demokratie funktioniert aber nur, indem wir selber uns immer trauen, unsere Meinung zu sagen und nicht die, von der wir glauben, dass sie Andere hören wollen, um dafür dann kleine Vorteile zu bekommen.

Für den Datenschutz

Bei jeder Internetnutzung, ja bereits beim Einschalten des Handys entsteht fast beiläufig ein immer breiter werdender Datenstrom, den staatliche Behörden sammeln lassen, um dann darauf zuzugreifen. Das Verhalten der Bürger kann so dauerhaft nachvollzogen werden. Das steht im krassen Gegensatz zu den Prinzipien des Datenschutzes und zum Verfassungsrecht.

Nach den Grundsätzen des Datenschutzes muss bei der Erhebung von Daten immer eine präzise Zweckbestimmung vorgesehen sein. Es ist prinzipiell unzulässig, dass etwa eine Sicherheitsbehörde auf Daten zurückgreift, die für andere Zwecke gespeichert wurden. Die Vorratsdatenspeicherung widerspricht den datenschutzrechtlichen Grundsätzen der Datensparsamkeit und Datenvermeidung. Die Unschuldsvermutung wird sogar umgekehrt. Damit verstößt sie auch gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns.

Dieses Gesetz greift in erheblichem Maße in das nach Art. 2 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes geschützte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das durch Art. 10 Grundgesetz besonders geschützte Fernmeldegeheimnis ein. Es verletzt auch den Schutz der personenbezogenen Daten, der in Artikel 8 der gerade beschlossene EU-Charta garantiert wird.

Eine Maßnahme muss auch geeignet sein, dass angestrebte Ziel zu erreichen; wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, ein solches Ziel zu erreichen, dann ist die Lösung zu wählen, die es bei minimalen Grundrechtseingriffen und anderen Nebeneffekten erreicht.

Diese Erfordernisse erfüllt die Vorratsdatenspeicherung alle nicht. Innenminister Schäuble fordert auch die Möglichkeit von Online-Durchsuchungen von Computern durch die Polizei. Verfassungsschutz und BND führen bereits seit 2005 heimliche Online-Durchsuchungen von Computern durch. Online-Durchsuchungen von Computern sind dem Staat vom Grundgesetz her jedoch verboten. Dabei wird das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigt. Auch der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die "verdeckte Online-Untersuchung" unzulässig ist.

Nachrichtendienstliche Methoden werden in Zukunft immer häufiger auch im Bereich der polizeilichen Ermittlungen eingesetzt werden. Sie werden damit zu gerichtsrelevanten Beweismitteln. Ist der Rechtsschutz im Grundgesetz aber erst einmal gekippt worden, steigt vermutlich die Zahl der Gefährder in Deutschland schlagartig wie bei der Telefonüberwachung an.

Es ist leider ein bekanntes Phänomen, dass deutsche Politiker auf der EU-Ebene Gesetze mitbeschließen und dann später in Deutschland behaupten, dass ihnen die Hände gebunden seien, da sie "nur" eine EU-Richtlinie umsetzen würden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Gesetz über den Europäischen Haftbefehl jedoch einen klaren Weg aufgezeigt: Wenn rechtsstaatliche Grundsätze nicht beachtet werden, darf die Bundesregierung eine Umsetzung einer EU-Richtlinie in deutsches Recht nicht ohne weiteres vornehmen. Denn die Verfassungsprinzipien bleiben auch bei der Mitwirkung der Europäischen Union für alle Verfassungsorgane strikt bindendes Verfassungsrecht.

Die EU-Kommission und der Ministerrat stützten sich beim Beschluss der Richtlinie zur Vorrratsdatenspeicherung auf Artikel 95 EG-Vertrag. Damit können aber nur Regelungen im Zusammenhang mit dem europäischen Binnenmarktes beschlossen werden. Deshalb hat Irland mit der Begründung, es wäre ein Rahmenbeschluss erforderlich gewesen, Klage dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erhoben.

Für die Freiheit

Die Freiheitsrechte des Grundgesetzes sollen dem Bürger Schutz vor dem Staat und seinen Behörden bieten. Die Grundrechte der Bürger im Grundgesetz sind eine Reaktion auf Erfahrungen mit der Realität totalitärer Staatsformen. Für die Erringung dieser Grundrechte haben Menschen im Laufe der Geschichte ihr Leben geopfert. Jetzt wird versucht, diese rechtsstaatliche Prinzipien Stück für Stück zu demontieren. Eine Verfassungsänderung, die das Rechtsstaatsprinzip oder die Menschenwürde im Kern berührt, ist unzulässig. Diese Verfassungsgrundsätze unterliegen der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes.

Die Privatsphäre ist ein ureigenes Menschenrecht und Grundbedingung eines würdigen und respektvollen Lebens. Die Privatsphäre war immer Bestandteil der Würde des Menschen.

Für die Überwachung der Bürger gibt es Grenzen, die einzuhalten sind. Nicht alles was möglich ist, darf auch gemacht werden. Der Einsatz von Spionage-Software ist sinnlos und untergräbt letztlich das Vertrauen in den Rechtsstaat. Der sicherste Schutz vor Terrorangriffen ist der Verzicht auf internationale Militäreinsätze und ein dem Staat gegenüber loyales Volk.

Autor: U. Brehme

Quelle: 

  1. Tagesschau-Interview mit Ernst Benda

  2. FAZ,19.11.2007,"Selbstachtung des Rechtsstaates"

  3. Schäubles Empfehlung eines Buches des Kölner Staatsrechtslehrers Otto Depenheuer (Schüler von Josef Isensee) mit dem Titel "Selbstbehauptung des Rechtsstaates"

  4. Di Fabio: "Die Kultur der Freiheit" das Manifest eines bürgerlichen Konservatismus

  5. Schäuble will neues Strafrecht

  6. dpa, 28.11.07 "Ex-Verfassungsrichter Grimm lehnt schärfere Sicherheitsgesetze ab"

  7. Hans-Jochen Vogel

  8. ZEIT, 13.11.2007, "Bund speichert IP-Adressen"

  9. Rede des Leiters des Unabhängigen Landeszentrums Schleswig-Holstein Thilo Weichert auf der Demo "Freiheit statt Angst" am 22.9.07 in Berlin

  10. DRiZ 2007, 225, "Online-Durchsuchung"

  11. DRiZ 2007, 33, Dr. Paul J. Glauben: "EG-Richtlinie auf zweifelhafter Grundlage verabschiedet"

  12. DRiZ 2007, 34, Dr. Paul J. Glauben: "Aus Schaden wird man(n) immer klug?"

  13. SZ-Interview mit Hans-Jörg Albrecht, 30.06.2003, Lauschangriff: "Mehr Schaden als Nutzen"

  14. Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen" Max-Planck-Gesellschaft, S.467

  15. BITKOM-Stellungnahme zur Massendatenspeicherung vom 14.9.2004

  16. zur Massendatenspeicherung

  17. Datenschützer zur Massendatenspeicherung

  18. Der Mensch ist keine Nummer! (15.8.07)

  19. MdB Ahrendt zur Onlinedurchsuchung

  20. silicon.de,24.9.07, Neuer Personalausweis

  21. silicon.de,09.8.07, zentrale Steuerdatei

  22. silicon.de,25.7.07, Passagierdaten-Abkommen mit USA

  23. silicon.de,5.11.07, Fluggastüberwachung nach US-Vorbild

  24. Internationale Liga für Menschenrechte, 1.11.07, biometrische Erfassung,

  25. G.Baum: Online-Durchsuchung, 13.9.07

  26. SZ,21.4.07, Heribert Prantl: Vom Umbau des Rechtsstaats in einen Präventionsstaat

  27. tagesschau.de,21.11.07, Alexander Richter Pläne für Online-Durchsuchung

  28. tagesschau.de,24.04.07 Datenschutzbericht

  29. silicon.de,19.9.07, Chaos in der US-Terrordatenbank

  30. silicon.de,15.11.06, SWIFT-Daten

  31. silicon.de,20.07.2006, SWIFT-Daten

  32. Wikipaedia

  33. Entnahme von Geruchsproben

  34. Peter Mühlbauer, 6.9.07 Feindstrafrecht

  35. silicon.de,16.7.07, Polizei benützt Handys als Wanzen

  36. 9.7.07, Schäuble fordert gezielte Tötungen

  37. tagesschau.de, Alexander Richter, "Schäuble will gezielte Tötung ermöglichen"

  38. Schäuble will alle Waffen künftig wieder ab 18 Jahren zulassen